Text [insert title]

  1. [INSERT TITLE]

    Ich schreibe Gedichte immer auf Englisch. Ich finde das weniger kitschig. Manche behaupten, Deutsch sei so genau, so hart und eh Ausdruck deutscher Ingenieurspräzision. […] Ich finde Deutsch in Gedichten nicht immer kitschig, nur bei mir. Häufig finde ich es anstrengend und eher verkomplizierend. Und für Texte wie diesen finde ich es nur cool, wenn ich schreiben kann während ich denke und so, wie ich spreche. Und wenn ich ab und zu ficken sagen kann.
    CONNY & MARIA
    […] Wir wollen heute den ersten Testlauf für mein Fotoprojekt starten. Ein Projekt, das nicht einmal einen Titel hat, der mir nicht peinlich ist. Ich finde Titel meistens peinlich. Bei Filmen geht’s meistens, Bücher liegen schon oft daneben. Ich habe in einer Ausstellung mal eine Skulptur gesehen, die mir eigentlich sehr gefiel. Sie hieß: „Der Schrei“. Mich erinnerte der geöffnete Mund eher an einen Blow-Job. Das hätte ich als Titel deutlich besser und auch irgendwie pubertär- witzig gefunden. [...] Ich erkläre Maria noch einmal, was ich eigentlich vorhabe. Portraits von Künstlerinnen und Künstlern machen, sage ich. Dokumentation von Arbeitsprozessen. Ich höre mir selbst zu und hoffe, dass man mir das konzeptuelle Straucheln nicht so anmerkt. Ich finde, das klingt alles nicht so richtig fundiert. Es fällt mir schwer, Kontrolle abzugeben. Einfach mal schauen, was passiert: keine meiner Stärken. […] Ich fühle mich oft als Außenseiterin. Das ist so tief in mir drinnen, dass ich kaum dagegen ankomme. Als Fotografin bin ich in den meisten Fällen Beobachterin und stehe ein bisschen außen vor. Ich habe mich bisher in dieser Rolle unwohl gefühlt. Jetzt merke ich aber, dass ich sie auch manchmal annehmen kann. Dass ich Teil sein kann ohne mittendrin zu stehen. [...] Heute ist die Premiere von Conny's und Marias Tanzstück. Es regnet, die Bahn ist ziemlich voll und ich habe überhaupt keine Lust. Nicht aufs Fotografieren, nicht auf Menschen, nicht auf Reden. [...] „Du Caro, ich will dich was fragen!“ Das klingt so nach Ernsthaftigkeit, für die ich heute keine Energie habe. „Du fotografierst gar keine Prozesse“, sagt Maria. „Du fotografierst Leute. Warum?“ Das trifft mich unvorbereitet. Ich antworte wage. Am Ende wird diese Serie wahrscheinlich aus einer Reihe schräger Portraits und diesem Text bestehen.
    PRÄ CÉDRIC
    Ich habe meine Sommerenergie schon im Juni verpulvert. Ich habe keine Lust mehr auf Leute. Ich will gerade einfach nur weiterarbeiten. [...]  Aber gerade ist Leerlauf. Ich sitze tagelang in Folge an meinem Fenster, rauche und lerne Französisch. Ich denke über Brüssel nach. Dort werde ich Cédric besuchen, den ich für mein Projekt fotografieren will. […] Ich weiß nicht so genau, was für Kunst Cédric macht. Es interessiert mich auch nur ein bisschen. Es geht mir ja nicht um das Werk, sondern um ihn als Künstler und seine Art zu arbeiten. [...] Die Tage im August ziehen sich ins Unendliche und ich nutze sie nicht. Für nichts. Ich fühle nichts, bin nicht mal traurig.
    
    
  2. CÉDRIC

    Ich stehe in Brüssel in der Straßenbahn, mein Rucksack ist viel zu schwer, die Bahn ist schmal und voll. Ich stehe im Weg und nerve alle anderen mit meinem Gepäck. Ich mache ein grimmiges Gesicht, meine Schultern tun mir weh. Ich mache diesen Gesichtsausdruck immer, wenn ich mir wünsche, nicht angesprochen zu werden. Das klappt nie. [...] Vor Cédrics Tür kommt die Nervosität der letzten Tage kurz wieder; er öffnet schnell-- Er ist kleiner als ich ihn in Erinnerung habe. Er gibt mir einen Kuss auf die Wange. Das ist mir angenehmer als ich möchte. Es wird schwierig, mich hier nur auf meine Fotos zu konzentrieren. [...] Mein letzter Tag in Brüssel beginnt und verläuft fast genauso wie die vorherigen drei, die Tage verschwimmen ineinanderder. Ich frühstücke allein auf der Terrasse, Cédric raucht auf dem Sofa einen Joint. [...] Nachmittags gehen wir raus, wir wollen in verschiedene Galerien gehen. Ich mache ein Foto von ihm in einem weißen Raum, er steht vor einer Vitrine und schaut auf sein Handy. Was er da eigentlich die ganze Zeit macht, ist mir unklar. Auf Instagram-Stories reagieren vielleicht, Leuten antworten. Doppelklick, Herzchen, eine Like für ein Like. [...] Am Abend besuchen wir einen Freund von Cédric, Eric. Wir trinken zwei Flaschen Wein. Sie wollen in die Innenstadt. Wo wir genau hingehen, weiß keiner der beiden so genau. [...] Fotografieren eignet sich super, um Abstand zu kreieren, auch da, wo man ihn eigentlich nicht hat. Es macht das "Wir" zu einem "Ich und die Anderen". In Situationen, die mir nicht so angenehm sind, eine mega gute Technik. [...] Es entsteht eine interessante Dynamik zwischen uns, wie in einer Performance drehen wir Kreise umeinander. Cédric und Eric ziehen sich Rosenblüten ins Gesicht, die aus einem Vorgarten über den Zaun auf die Straße hängen. Die Rosen riechen nach nichts, das Foto dieser Szene wird mein Lieblingsfoto dieses Projektes werden. Es zeigt wie kein anderes die Distanz zwischen Cédric und mir. Er dreht mir den Rücken zu, verschwindet fast im Schwarz des Himmels. Die Geste, die er in meine Richtung macht, empfinde ich trotz ihrer Härte als liebevoll. Ja, es ist mein liebstes Foto! [...] Meinen Koffer habe ich am Abend vor meiner Abreise gepackt. Ich habe meinen Wecker so gestellt, dass noch einmal Sex drin ist. Ich plane alle Lebensbereiche. Ob das ein Talent oder eine Bürde ist, weiß ich kaum zu unterscheiden. Dann stehe ich auf, gehe duschen, packe den Rest. Ich frühstücke nicht, trinke keinen Kaffee. [...] Die Verabschiedung von Cédric ist kurz und für mich unemotionaler, als ich erwartet hatte. Ich bin fast froh, einen Haken hinter Brüssel setzen zu können. Es war schön und schön ist auch anstrengend, manchmal. Vielleicht finde ich auch anstrengend schön. Ich sage dann, dass ich hoffe, nichts vergessen zu haben und wenn doch, könne er es mir ja nach Köln bringen. „Mach' lieber noch mal einen Kontrollgang!“, sagt er. Ich verdrehe innerlich die Augen wegen dieser Abfuhr und denke so: Okay, bye.
    
    
  3. CAMILLE

    Als ich in ihrer Wohnung ankomme, ist es so, als hätten wir uns erst vor kurzem gesehen. Ich liebe diese Freundschaften. Ich kenne Camille aus Mexiko; als ich dort gelebt habe, war sie eine meiner wenigen echten Freundinnen. Wir sprechen uns manchmal monatelang nicht. [...] Wiedersehen gehen bei uns so: Wein trinken, viele Zigaretten rauchen und uns nicht update-mäßig unterhalten, sondern einfach in das einsteigen, was uns gerade beschäftigt. Der Rest kommt dann eh dazu. Ich mache kein einziges Foto. [...] Am nächsten Tag frühstücke ich alleine, Camille schläft noch. Ich habe mir im Kühlschrank etwas frühstückbares zusammen gesucht. Es gibt  eine richtig nice Siebträgemaschine. Milch gibt es nicht. Ich finde auch keinen Zucker, dafür Ahornsirup. [...] Den schütte ich also in meinen Espresso und frage mich, ob da eine fancy Kaffeebar wohl auch schon drauf gekommen ist. Maple-presso müsste das heißen. [...] Als Camille später mit ihrem Laptop in der Küche sitzt und raucht, mache ich das erste Foto von ihr. Es zeigt so sehr sie, dass ich finde, eigentlich kein weiteres mehr machen zu müssen. Der Blick, den sie in die Kamera richtet, gilt mir. Es ist das erste Mal auf dieser Reise, dass ich mich als Teil des Fotos fühle, als Teil der Situation. [...]  Camille ist Musikerin und macht experimentelle elektronische Musik. Sie will am Abend noch ein bisschen arbeiten. Ich habe eigentlich keine Kraft zu fotografieren. Brüssel steckt mir emotional noch ganz  schön in den Knochen. Ich raffe mich trotzdem auf und lege einen neuen Film ein. Ich klettere über herumliegende Kabel und fotografiere sie hinter diesem ganzen Audiokram. Es ist fast unerträglich, wie sehr Camille sie selbst ist, während ich Fotos von ihr mache. Ich frage mich, ob man dieses Gefühl von Nähe und Vertrautheit aus den Fotos herauslesen kann. Ich fühle mich nicht als Außenseiterin, auch wenn sie mich ignoriert und wie gebannt auf den Bildschirm starrt. [...] Am nächsten Tag fahre ich mit Camille und ihrem Freund Matías zu seinem Studio nach Schöneberg. [...] Ich trotte mit meinem Koffer hinter ihnen her. Ich muss ihn alle paar Meter anheben muss, um ihn über die gepflasterten Bürgersteigabschnitte zu heben. Mir ist warm und alles ist zu schwer. Wir müssen noch ein Paket bei der Post abholen. Die Filiale ist einem deprimierenden Einkaufszentrum, grau und einige Ladenlokale stehen leer. Es sind kaum Leute da. Nur diejenigen, die zu Aldi wollen; und wir. Am Paketschalter merkt Camille, dass sie keinen Ausweis dabei hat. Aber die Postangestellte akzeptiert Camilles uralten mexikanischen Führerschein. Wir können also endlich zum Bus gehen, ich hebe meinen Koffer wieder über die Pflastersteine und schlucke meine schlechte Laune herunter. Im Studio angekommen mache ich vier letzte Fotos. Dann haue ich ab. Mich von Camille zu verabschieden fällt mir nie schwer. Wir sehen uns zwar super selten, aber wenn, dann ist alles wie immer. Mit diesem Gefühl ziehe ich die Studiotür zu.
    
    
  4. JULIA UND PABLO

    Madrids Flughafen ist der schönste, den ich kenne. Ich bin hier in den letzten Jahren oft gewesen, um in Flugzeuge Richtung Mexiko oder Kuba umzusteigen. Aber ich verbinde mit diesem Ort noch viel mehr, als einen architektonisch angenehm gestalteten Aufenthaltsort. [...] Nach dem Abitur machte ich eine sechsmonatige Reise. Das erste Ziel war Madrid. Seitdem bin ich nie wieder hier gewesen. [...] Das letzte Mal war vor genau acht Jahren. Jetzt bin ich hier, um Julia und Pablo zu fotografieren. Die beiden sind Bildhauer, arbeiten als Duo, leben zusammen in ihrem Atelier und sind ein Paar. Mehr weiß ich über sie nicht. Ich habe sie noch nie gesehen, eine Freundin hat den Kontakt hergestellt. [...] Ich treffe die beiden in einer Bar. Sie sitzen dort mit Freunden.  Es ist elf Uhr abends und noch angenehm warm, Oktober in Spanien. Ich fühle mich auf Anhieb wohl, fast so als wären sie vergessene Freunde. Ich bin müde, antworte höflich auf Fragen und beobachte ansonsten die Interaktionen zwischen den Freunden. [...] Ich laufe zu dem Geschäft, in dem Julia arbeitet. Ich habe sie verpasst, sie ist schon fast bei der Metro angekommen. Ich laufe also mit der Kamera in der Hand hinterher und fotografiere sie dort. Sie ist unlocker und sagt, dass sie gar nicht gerne fotografiert werde. Hoffentlich legt sich das noch. [...] Julia sitzt schon am Schreibtisch, als ich aufstehe. Ich bin von ihrem Zigarettenrauch aufgewacht. Unangenehm, obwohl ich selber rauche. [...] Ich mache endlich mal mehr Fotos. Es passiert was im Atelier. Die vorherigen Tage habe ich viel leicht jeweils 10 Fotos gemacht. Viel zu wenig, wenn ich darüber nachdenke, dass ich extra dafür hierher geflogen bin. Ich stelle fest, dass die Motive denen aus Brüssel, Berlin und Köln sehr ähneln. Handys, MacBooks, Aschenbecher. Das könnte nebeneinander funktionieren. Gleichzeitig könnte das schon wieder irgendein Klischee bedienen. Wer hat mir diese Angst vor Klischees eigentlich eingetrichtert? Ich versuche diese nervige Stimme in die letzte Ecke meines Gehirns zu verbannen. Mehr darüber nachdenken, das verschiebe ich auf später. Oder lasse es besser ganz sein. [...] Julia und Pablo beeindrucken mich irgendwie. Sie arbeiten zusammen und doch jeder für sich. Julia sagt, sie arbeite eher konzeptionell. Pablo probiert einfach rum und schaut, was ihm gefällt. Sie arbeiten parallel, rufen sich Ideen und Kritik zu. Manchmal steht Julia vom Schreibtisch auf und hält irgendwas fest. Sie  gehen ab und zu ein Stück zurück, ändern etwas oder fügen neue Elemente zu ihren Skultpuren hinzu. Ich verschieße drei Filme. Julia zuckt bei jedem Foto zusammen, sie hat sich ausgerechnet, was das Auslösen eines einzelnen Fotos kostet. Ich mache unbeirrt weiter. Ich fotografiere und laufe um Julia und Pablo herum. Ich habe gerlernt, mir die Fotos zu holen, die ich haben will. Ohne in den Raum der anderen einzudringen. Und auch, mich als Teil des Fotos zu fühlen. Das ist oft noch schwierig für mich. Aber ich komme dem näher, meinem Selbstbewusstsein, meinem Selbstverständnis und mir.