It Is the Water Flowing that Makes the Sound

Texte auf Deutsch

1      Das (Ab-)Wassersystem der Stadt gleicht dem menschlichen Verdauungsapparat. Was reinkommt wird verdaut – Wasser wird verschmutzt und gereinigt – und kommt am Ende wieder raus. Ganz sauber ist es dann aber nicht. Medikamentenrückstände werden in Köln nicht aus dem Wasser herausgefiltert, sondern fließen zurück in den Rhein. Darum kann man im Basel auch noch direkt aus dem Fluss trinken und 500km flussabwärts nicht mehr. Auf dem Weg passiert einfach zu viel Mensch. 
2      Überall unter der Stadt sind Tunnel. Kleinere und größere Rohre, durch die das fließt, was wir das Klo herunterspülen. Und was durch die Gullys durchrutscht - Laub, Plastik, Strumpfhosen. Insgesamt 2400 Kilometer ist dieses Rohrsystem in Köln lang. Das entspricht der Autostrecke von Köln bis Istanbul. 20 Prozent dieser Rohre sind groß genug, dass Menschen reingehen können. Und das machen die auch, um Lecks zu reparieren und um deine, meine und deren Scheiße wegzumachen, falls mal was nicht durchflutscht. 
3      Denise und ich laufen über das Gelände des Klärwerks, es ist mega heiß. Ich darf die Wege nicht verlassen, habe keine Sicherheitsschuhe an.
- Dahinten könnte es etwas stinken, bei der Hitze es das manchmal krass.
- Wie reagieren Leute eigentlich, wenn du erzählst, was du beruflich machst?
Die Frage kommt aus dem Nichts. Sie muss trotzdem nicht lang nachdenken.
- Die Meisten wissen nicht, was das ist. Meine Freunde nennen mich Scheiße-Schauflerin... ist
witzig gemeint.
Sie ist gelernte Abwassertechnikerin. Den Beruf hat sie gewählt, weil sie sich für Chemie und Biologie interessiert. Und sicher ist der Job auch. Sie ist eine von drei Frauen im über 50- köpfigen Techniker:innen-Team des größten Klärwerks Kölns.
4     Wasser, sauberes Trinkwasser aus Spüle, Dusche, Klo, war für mich so selbstverständlich wie atmen. Erst mit 20 lernte ich, dass das ein krasses Privileg ist. Ich lernte es, als ich zum ersten Mal in Mexiko war und morgens verkatert aufwachte. Ich hatte vergessen, Wasser zu kaufen. Mit Hangover und Kopfschmerzen und mega Durst lief ich statt zum Wasserhahn zehn Minuten zum nächsten Laden. Dass es auch ein krasses Privileg ist, Wasser aus Flaschen einfach kaufen zu können, lernte ich erst sehr viel später. Ich erinnere mich aber gut daran wie ich damals dachte, dass es vollkommen verrückt ist, da noch nie drüber nachgedacht zu haben. In mein Tagebuch schrieb ich als 20jährige: „Echter Luxus ist, Leitungswasser trinken zu können.“ Heute füge ich hinzu: „ Privilegien sind unsichtbar für diejenigen, die sie haben."

5      Ich bemühe mich hier, gerade zu schreiben. Parallel zum Boden, 90° zur imaginären y- Achse zwischen Boden und Decke. Unsere Kultur, sie liebt die Gerade. Wir bauen Häuser hoch in den Himmel und zwängen Flüsse in Kanäle. Mit 22 hab ich mir einen Satz einmal um den Knöchel herum tätowieren lassen. „Alles Leben ist in Kreisen“ steht da. Damit meinte ich nie sowas wie Karma, sondern Kreise, Kreisläufe. Das Tattoo war mir manchmal peinlich. Es klingt so bisschen eso, dabei ist es Physik. Ich habe keine Ahnung von Physik, ich weiß nur so viel: Alles mögliche kreist umeinander. Neutronen, Protonen, Elektronen bilden kreisend Atome, umeinander kreisende Atome bilden Moleküle. Der Mond kreist um die Erde, die Erde um die Sonne. Du weißt schon. Auch Wasser kreist, es formt zum Beispiel Tropfen - Kreise in 3D. Wenn man Flüsse lässt, dann mäandern sie. Die Formel ist: Kreise + bergab.

6     Seit ich mich mit Wasser und Abwasser beschäftige, denke ich viel über Verbundenheit nach. Und merke, dass ich mit meiner eigenen Verdauung ganz und gar nicht verbunden bin. Solange es da keine Probleme gibt, will ich mit meiner Scheiße nichts zu tun haben.
Die Stadt ist ein Organismus, auch sie verdaut. Nämlich das, was schon einmal durch ihre Bewohner:innen hindurchgegangen ist. Ist es nicht auch irgendwie ein bisschen rührend, dass all unsere Scheiße zusammenfließt und dann gemeinsam unter der Stadt entlangläuft? Dadurch sind wir uns auf eine komische Art doch mega nah. Wenn wir unseren Ausscheidungen und damit unseren Körpern und unserer Natur nicht so fern wären, dann wäre das direkte Verbundenheit.
7     Alles, was durch uns durchfließt – Bier, Kuchen, Antibiotika – wird von Wasser weggespült. Nachdem es unter der Stadt hindurchgeflossen ist, wird es gereinigt und in den Wasserkreislauf zurückgeführt. Etwas dreckiger als vorher allerdings. Es scheint weg zu sein, aber es kommt zurück zu uns, dieses Wasser. Nicht genau dieselben Moleküle vielleicht, aber in unseren Städten, unter denen wir das Wasser für die meisten von uns unsichtbar drunter durchleiten, fließt Wasser, das Teil des globalen Kreislaufs ist. Denn alles Wasser ist eins. Und es ist seit Jahrmillionen dasselbe. In der 5. Klasse im Erdkundeunterricht hab ich’s schon mal gelernt: Verdunstung, Wolken, Regen, Flüsse, Meer - es hängt alles zusammen. Und es fließt in Kreisen. Auch die noch so statisch erscheinende Pfütze ist Teil davon, sie verdunstet oder wird vom Regen weggespült. Alles Wasser ist eins, wir selbst bestehen zum größten Teil aus Wasser. Auch das ist Verbundenheit. Wasser ist Leben und alles Leben ist in Kreisen. Ich habe es schon mal gelernt und dann vergessen.